Ich schwanke auch immer hin und her. Als seinerzeit die versammelte deutsche Presselandschaft unisono ins selbe Horn stieß und alle China-Reifen über einen Kamm scherend als Mittel zum Selbstmord und jämmerliche Nassbremsversager am Zebbrastreifen vor dem Kindergarten verteufelte (solche Horrorszenarien werden immer gerne bemüht), habe ich gestutzt. Haben die das wirklich alle selbst durchgetestet? Oder schreibt da einer vom anderen ab? Und wissen dieselnen Herrenauch, dass das nur aakademische Werte sind, wenn ein Auto aus Tempo 100 mal in 38, mal in 42 Metern zum Stehen kommt? Wo doch hinter vorgehaltener hand jeder fahrprofi weiß, dass die meisten durchschnittlichen Autofahrer in urplötzlichen Stress- und Unfallsituanen gar nicht oder zu zaghaft oder nicht konsequent genug bremsen.
Tatsache ist, dass es in Deutschland und auch in Europa nur sehr sehr wenige Medien gibt, die überhaupt ernsthaft Reifen testen können. Der Reifentest steht dabei noch mal in Anspruch und Ansehen einige Klassen höher als der Autotest.
Und zwar wirklich ernsthaft, professionell und reproduzierbar. In Deutschland sind es gerade mal fünf. Ist doch klar, dass alle anderen Medien, die Reifenwissen verkaufen wollen, sich ihr angeeignetes Wissen woanders holen müssen. So läuft das nun mal.
Tatsache ist auch, dass der ADAC die Meinungsführerschaft in puncto Reifentests HATTE. Aus uns allen bekannten Gründen darf man beruhigt alles anzweifeln, was da vom Münchner Heimeranplatz aus in die Welt posaunt wird. Gut gebrüllt, Löwe, aber wir alle sehen die gekreuzten Finger hinter Deinem unglaubwürdig gewordenen Silberrücken.
Das Käseblatt Motorwelt dient bei mir nur noch als Feueranmachhilfe in meinem Holzofen. Vor Monaten noch hatte es die eigenen Wunden geleckt und nach neuer Selbstdefinition gelechzt. was aber hat sich nach einem Chefredakteurswechsel getan? Richtig: Nichts. Oder bekommt Ihr etwa nicht so wie ich auch weiterhin vom selben Verein Angebote für Versicherungspolicen oder Tankkarten mit Preisvorteilen? War da nicht vollmundig von Selbstläuterung und strikter Trennung von Geschäft und eigentlichem Clubtreiben die Rede gewesen? Alles klar!
Doch zurück zum Thema.
Spekulation, aber sicher doch nicht weit von der Wahrheit ist die Annahme, dass die "Premium"-Reifenhersteller den Abstand zu den bösen billigen Reifen aus Fernost sehr hoch halten möchten. Wie sonst sollen sich die hohen Preise durchsetzen und erklären lassen?
Andererseits: "Sympathisch" sind mir China-Reifen nicht, auch wenn sie inzwischen teilweise deutlich besser sind als ihr bröckelnder miserabler Ruf. Das gilt für mich aber nicht nur in Bezug auf Reifen. Ich "mag" es generell nicht zu sehen, was da alles aus dem Land der Mitte kommt. Ich bin ja beruflich hin und wieder dort – und jedes Mal heilfroh, wenn in Shanghai der Flieger gen Westen abhebt und ich mitfliegen darf. Das ist eine so völlig andere Welt mit völlig anderen Menschen, Denk-, Umgangs- und Lebeweisen. Gnadenlos (im wahrsten Sinne des Wortes!) auf Kommerz ausgerichtet. Übelster Turbo-Kapitalismus mit kommunistischem, lauerndem Überwachungs-Hintergrund. Sehr beklemmend.
Nichtsdestotrotz: Man muss attestieren, dass die Chinesen lernfähig sind und auf Teufel komm raus neue Erkenntnisse schnell umsetzen. Das schlägt sich auch in der Qualität der Reifen um, wie einige ja hier auch sehr glaubhaft berichten.
Wem also Markenvorliebe nichts, ein gutes Preis/Leistungs-Verhältnis alles bedeutet, der kann mit dem einen oder anderen China-Gummi richtig Glück haben. Und muss am nächsten Kindergarten-Überweg nicht in höchster Not vorsorglich den vertäuten gusseisernen MS-Europa-Anker-Nachbau aus dem Schiebefenster werfen.
LG
Dirk