Wegen der vielen Zielkonflikte (Nassgriff vs. Rollwiderstand vs. Handling vs. Abrieb usw.) ist ein Reifen immer ein Kompromissprodukt. Ein Ganzjahresreifen ist dann abermals ein Schritt zurück, gewiss nicht nach vorn. Er spricht betont die Wechselunwilligen, vor allem aber diejenigen an, die selten oder nie mit Schnee oder gar Eis in Berührung kommen. Das Marketing der Hersteller sagt natürlich was ganz anderes und verspricht das Beste aus beiden Welten. Was natürlich physikalisch ein Unding ist.
Doch noch immer gilt die alte Weisheit, dass ein Ganzjahresreifen nie so gut sein kann wie ein reiner Sommer- bzw. Winterreifen. Ist ja auch logisch.
Man kauft sich also etwas "nichts Ganzes und nichts Halbes" ein. Das muss aber nicht grundsätzlich falsch sein, wenn man die eingeschränkten Betriebsgrenzen kennt und diese nicht überschreitet.
Dia aktuellen Schneeverhältnisse im Voralpen- und Alpenraum sind klar jenseits dessen, was als Optimum für All Season Reifen gilt. Ein Top-Winterreifen in einem T5-tauglichen Format wird jeden noch so ausgelobten Ganzjahresreifen dermaßen in puncto Grip, Seitenführungs- und Bremspotenzial deklassieren, dass die Ohren wackeln. Das werden die Besitzer der All Season Reifen natürlich vehement abstreiten (auch mangels Vergleichs).
Es kommt immer drauf an, was man von seinem Bus erwartet. Wer physikalisch das Beste sucht und braucht, kommt am reinen Winterpneu (und Sommerreifen) nicht vorbei. Dann scheiden auch Schmalformate wie 215er oder schlimnmstenfalls 205er-Reifen kategorisch aus. Die vermeintlichen Vorteile der Schmal-Größen halten sich aber hartnäckigerweise im Bewusstsein vieler – meist älterer – Fahrer.
Moderne Winterreifen haben das gleiche Format wie ihre Sommerkollegen, also z.B. 235/55 R 17 103 V XL M+S. Geringere Flächenpressung, ausgeklügeltere Bodendruckverteilung und rund 2.000 mehrdimensionale Lamellen, gepaart mit Silica (= Kieselsäurederivat, ein gräuliches Pulver aus Quarzsand gewonnen, das die Haftungseigenschaften enorm nach oben schraubt; erstmalig von Michelin eingesetzt) der neuesten Generation erlauben Haftungswerte, die vor Jahren oder gar Jahrzehnten niemand für möglich gehalten hätte. "Damals" musste man sich tatsächlich mit schmalen Reifen den Schneehang hoch retten, da die Pneus im Tiefschnee tiefer einsanken und die Schnee-Schnee-Reibung besser zum Tragen kam. Dafür musste man aber den Nachteil unterbereiften Fahrens in allen anderen Belangen in Kauf nehmen: schlechtere Lenkpräzision, längere Bremswege, weniger Reserven in Kurven usw.
Ehrlicherweise muss man schmäleren Reifen aber bis heute ein besseres Aquaplaning-Verhalten attestieren. Das gilt heute noch.
Und es gibt noch ein – sogar gewichtiges – Argument PRO Schmal-Winterreifen: die Montagetauglichkeit von Schneeketten.
Wie gesagt: alles immer ein Kompromiss*.
Gruß
Dirk
*
Würde es nie regnen, wäre der Slick im Sommer der mit großem Abstand beste Reifen, zudem leiser und viel weniger Rollwiderstand, sprich: deutlich weniger Kraftstoffverbrauch.
Würde es im Winter bei Minustemperaturen nie schneien, bräuchten wir keine das Profil aufweichenden Lamellen; Folge: besseres Handling, weniger Rollwiderstrand, kürzere Bremswege.
Müssen Reifen nur ein paar hundert Kilometer halten – wie bei einem Formel-1-Rennen – kommen Gummimischungen zum Einsatz, die so viel Grip erzeugen, dass der berühmte Haftungskoeffizient *mü* größer als 1 ist! Folge: brachiales Bremsvermögen. Nachteil: ruckzuck verschlissen.